COVID-19 / Psychosomatik / Psychologie: Long-COVID und seine Auswirkungen auf die Psyche – Teil 1

Etwa zehn Prozent der Corona-Patient*innen leiden auch sechs Monate nach Abklingen der Corona-Infektion noch immer an den Folgen ihrer Infektion mit COVID-19. Die betroffenen Menschen haben u.a. Wochen und Monate lang Konzentrations- und Wortfindungsstörungen, auch der Geschmacks- und Geruchssinn können stark beeinträchtig sein. Zudem kommt es zu Atemnot und Erschöpfungszuständen, auch dann, wenn die organischen Befunde normal sind. Die Post-COVID-Fatigue stellt nicht nur körperlich, sondern auch psychisch eine schwere Belastung dar. Die betroffenen Menschen fühlen sich auch nach kleinen körperlichen Anstrengungen bereits sehr erschöpft und überfordert. Die Müdigkeit kann zudem chronisch sein und das bisherige Leistungsniveau kann nicht mehr erreicht werden.
Viele Menschen mit Long- COVID weisen Symptome des Fatigue Syndroms, einer akuten Belastungsreaktion, einer Anpassungsstörung und einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf.

Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung?

Nach der ICD-10 (der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in ihrer 10. Revision) müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

• Die betroffene Person war (kurz oder lang anhaltend) einem belastenden Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.

• Auch müssen anhaltende Erinnerungen an das traumatische Erlebnis oder das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks, Träume oder Albträume) oder eine innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder damit in Zusammenhang stehen, vorhanden sein.

• Der Betroffene vermeidet (tatsächlich oder möglichst) Umstände, die der Belastung ähneln.

• Mindestens eines der folgenden Kriterien (1. oder 2.) ist erfüllt:

1. eine teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an einige wichtige Aspekte des belastenden Erlebnisses zu erinnern; oder

2. anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung, wobei mindestens zwei der folgenden Merkmale erfüllt sein müssen:

a) Ein- und Durchschlafstörungen

b) erhöhte Schreckhaftigkeit

c) Hypervigilanzd) Konzentrationsschwierigkeitene) Reizbarkeit und Wutausbrüche

• Die Symptome müssen innerhalb von sechs Monaten nach dem belastenden Ereignis (oder der Belastungsperiode) aufgetreten sein. Andernfalls ist von einer PTBS mit verzögertem Beginn zu sprechen. Diese kann auch nach vielen Jahren erst auftreten. Häufig sind zudem sozialer Rückzug, ein Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen sowie eine Beeinträchtigung der Stimmung.


Vor allem Menschen, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, entwickeln gehäuft eine Posttraumatische Belastungsstörung. Ein Aufenthalt auf einer Intensivstation mit künstlicher Beatmung stellt ein körperliches Trauma dar. Auch die soziale Isolierung und eine Umgebung, in der andere Menschen mit dem Tod ringen und u.U. auch an COVID sterben, ist eine existentielle Erschütterung. Da Körper und Psyche eine Einheit sind, hat dieses körperliche Trauma immer auch Rückkoppelungseffekte auf die Psyche. Hinzukommen Gefühle von Todesangst, Lähmung, völligem Ausgeliefertsein und Ohnmacht. Insofern ist diese Extremsituation ein belastendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Selbstverständlich, wie bei traumatischen Erlebnissen übrigens nicht ungewöhnlich, kommen die meisten Menschen von selbst wieder aus dieser psychophysischen Extremsituation gut heraus und entwickeln keine posttraumatischen Symptome. In den nächsten Wochen haben noch viele Menschen Nachhallerinnerungen, Schlafstörungen etc. Allerdings verfügen wir als Menschen gesunde Selbstheilungskräfte, die wir nicht unterschätzen sollten. Bei einem Teil der Betroffenen verfestigen sich jedoch die Symptome und es entwickelt sich die oben beschriebene Posttraumatische Belastungsstörung. Zudem können Menschen, die psychisch vorbelastet sind (etwa eine bestehende Angststörung vor der COVID-Infektion, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen, psychosomatische Vorerkrankungen, Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend, Depressionen u.v.m. schon vor der Infektion mit COVID-19) leichter und rascher eine Belastungsstörung entwickeln. Hier bedarf es dann psychologischer oder psychotherapeutischer Hilfe. Ein Monotrauma lässt sich nämlich grundsätzlich gut behandeln, wenn es rechtzeitig erkannt wird. Hat es sich aber chronifiziert, dann ist die psychologische Behandlung weniger erfolgsversprechend und langwieriger.

Nehmen Menschen die HIV-Therapie ein, dann gibt es keinen großen Unterschied zu HIV-negativen Menschen, wenn sie sich mit COVID-19 infizieren. HIV-positive Menschen haben dann nicht häufiger einen schweren Verlauf mit COVID-19 und leiden auch nicht öfters unter Long-COVID. Allerdings haben Menschen mit HIV oftmals zusätzliche Risikofaktoren, etwa Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Nierenerkrankungen. Auch bei niedriger Helferzellzahl, zum Beispiel bei nicht diagnostizierter und fortgeschrittener HIV-Infektion, dürfte das Risiko erhöht sein. Eine niedrige Zahl an Helferzellen bedeutet nämlich ein schlechtes oder schlechteres Immunsystem. Dies betrifft viele Menschen, die aktuell mit HIV-infiziert sind und noch nicht um ihre HIV-Infektion wissen. Da Menschen aufgrund der Pandemie in den letzten 14 Monaten seltener HIV-Tests machen, werden viele HIV-Infektionen erst spät oder sehr spät erkannt.

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