Diskriminierung in China

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In China ist ein Gesetz in Planung, wonach HIV-positiven Menschen der Zutritt zu öffentlichen Badehäusern und Wellnessanlagen verweigert werden soll. Das chinesische Regierungskabinett plane darüber hinaus, Schilder in den Einrichtungen anzubringen, auf denen zu lesen sein wird, dass Leute mit sexuell übertragbaren Krankheiten, AIDS und ansteckenden Hautkrankheiten keinen Zutritt haben. Nach Schätzungen von UNAIDS leben derzeit etwa 780.000 Menschen mit HIV in China.
Diese Haltung diskriminiert und stigmatisiert von HIV betroffene Menschen, da das Immunschwächevirus aufgrund der Verdünnung mit Wasser niemals übertragen (vgl. FAQ) werden kann. Die Virusmenge wird, sobald infektiöse Körperflüssigkeit wie Blut, Sperma oder Scheidensekret durch Wasser verdünnt werden, viel zu gering für eine Weitergabe von HIV. Nicht einmal hoch infektiöse STDs (sexuell übertragbare Infektionen) wie Syphilis, Chlamydien oder Gonokokken können in Bädern weitergegeben werden.
Wen wundert es da, dass HIV-positive Menschen oftmals wie Aussätzige behandelt werden? Mit solchen Aktionen entsteht der falsche Eindruck, dass jeder im Alltag permanent einem Risiko ausgesetzt ist, sich mit HIV und/oder anderen STDs anzustecken. Derartige Abspaltungsmechanismen und Sündenbockfunktionen sind uralt; bereits im Alten Testament finden sich Gesetzesvorschriften, dass Menschen mit Haut- oder Geschlechtskrankheiten zu meiden oder gar aus dem Kollektiv auszuschließen sind. Sie halten kollektive Verdrängungen aufrecht, fördern Ignoranz und Unwissenheit und tragen dazu bei, dass sich Menschen mit der chronischen Erkrankung HIV, die uns alle betreffen kann (aber eben nicht aufgrund eines Besuchs in einer Sauna oder einer Badeanstalt), erst gar nicht auseinandersetzen müssen. China tut gut daran, solche Pläne nicht in die Tat umzusetzen.

Apropos Abspaltungsmechanismen: Da sich das Ganze in China abspielt, soll nicht bei uns zur Verdrängung der Tatsache führen, dass in Westeuropa keinesfalls rational und vernünftig mit HIV umgegangen wird. Zwar hat sich in den letzten 15 Jahren rechtlich viel getan, bezüglich unseres gesellschaftlichen Umgangs mit der Immunschwächeerkrankung befinden wir uns jedoch noch immer im tiefsten Mittelalter. HIV-positive Menschen werden sogar in Krankenhäusern oder bei ArztInnen, die in der Regel besser als die Allgemeinbevölkerung aufgeklärt sind, diskriminiert, an die letzte Stelle gereiht oder erst gar nicht behandelt.
Ein Zitat des gesellschaftskritischen Psychoanalytikers Horst E. Richter, das bereits über 25 Jahre alt ist, an Brisanz jedoch nichts verloren hat, soll uns bezüglich des phobischen Umgangs mit HIV zu denken geben. Es führt uns vor Augen, dass die Humanität einer Gesellschaft daran zu messen ist, wie sie mit allen Minderheiten umgeht:
„Allgemeines Verwundern erregt es, daß die massenhafte Information über die sehr begrenzten spezifischen Ansteckungswege (sc. von HIV, d.V.) eine Mehrheit nicht daran hindert, sich vor jeglichem noch so unbedenklichen Umgang mit Virusträgern schützen zu wollen. Selbst in Kreisen fachlich Gebildeter grassiert diese irrationale Abgrenzungsobsession. Es ist, als ob mittelalterlicher Aberglaube wieder auferstehe. Im Kopf – so sagen viele – weiß ich sehr wohl, daß mir, wenn ich mit AIDS- [und HIV-, d.V.] Infizierten am Tisch sitze oder ihnen die Hand gebe, nichts passiert. Trotzdem reagiere ich panisch, wenn ich mir solche Situationen auch nur vorstelle.
Was da in Wahrheit nicht ausgehalten wird, ist nicht der fremde, vermeintlich gefährliche Virusträger, sondern das Abbild der eigenen Verletzlichkeit und Sterblichkeit […] Mit Infizierten in humaner Form kommunizieren kann nur, wer sich mit der eigenen Sterblichkeit aussöhnen gelernt hat. Dieses Lernen wird nun aber zu einer der dringendsten sozialen Zukunftsaufgaben, da wir vor der Wahl stehen, entweder überall in humanitärer Solidarität […] zusammenzuleben oder in die Barbarei der Ausgrenzung »unwerten Lebens« nach faschistischem Muster zurückzufallen.“ (zit. nach Hort Eberhard Richter, Leben statt machen. Einwände gegen das Verzagen. Aufsätze, Reden, Notizen zum „neuen Denken“. Hamburg 1987, S. 13.)

 

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