Keine Abschiebung von Menschen mit HIV/AIDS in den Tod

Die derzeitige Abschiebepraxis von AsylantInnen, die mit HIV/AIDS leben, ist eine Schande und eine Doppelbödigkeit der österreichischen Regierung. Österreich kommt seit Jahren seiner moralischen und finanziellen Verpflichtung nicht nach, in den Globalen Fond zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) einzuzahlen, der dazu beitragen soll, die Versorgungsbedingungen in ressourcenarmen Ländern zu verbessern, schiebt aber HIV-positive und an AIDS erkrankte Menschen in genau diese versorgungsarmen Länder ab. Der vor acht Jahren gegründete Fonds ist ein Gemeinschaftsprojekt von staatlichen und privaten Institutionen. Der GFATM deckt rund ein Viertel der weltweiten Unterstützung für HIV/AIDS Programme ab. Nach eigenen Angaben hat der Fonds seit seiner Gründung 19,4 Milliarden Dollar in 144 Ländern zugesagt und somit 5,7 Millionen Menschen vor dem sicheren Tod gerettet. 2,82 Millionen Menschen erhalten dank des GFATM eine antiretrovirale (gegen HIV wirksame) Kombinationstherapie, 7,11 Millionen Menschen werden Tuberkulose behandelt, und 124 Millionen imprägnierte Moskitonetze wurden zum Schutz vor einer Malariainfektion verteilt. Der UN-Fonds sammelt weltweit Geld und gibt es nach strengen Kriterien für Programme zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose aus, drei der häufigsten Todesursachen in den ärmsten Ländern der Welt. Während Österreich sich nur ein einziges Mal mit einer Zahlung von 1 Million Dollar am GFATM beteiligte, sagte dieses Jahr in New York beispielsweise Norwegen für den Zeitraum 2011 bis 2013 225 Millionen Dollar zu, Kanada 520 Millionen. Japan will 800 Millionen einzahlen, Frankreich sogar 1,4 Milliarden. Mit vier Milliarden Dollar sind die USA der größte Einzelspender.

Österreich hat für von HIV/AIDS-Betroffene Menschen bereits eine moralische Verantwortung und Verpflichtung übernommen und ihnen durch die HIV-Therapie eine lebenswichtige Perspektive in Aussicht gestellt. „Eine Unterbrechung einer einmal begonnenen HIV-Therapie führt zu einem sofortigen Anstieg der Viruslast und damit zu einer Verschlechterung der Erkrankung, außerdem zu einer raschen Resistenzentwicklung mit Erschwerung oder Verunmöglichung einer weiteren Behandlung“, erklärt Prim. Dr. Norbert Vetter, Vorstand der II. Internen Lungenabteilung des Otto Wagner Spitals und im Präsidium der Österreichischen AIDS Gesellschaft. Ein abrupter Entzug der medikamentösen und fachärztlichen Begleitung kommt einem Todesurteil gleich. Deshalb fordern wir einen sicheren Aufenthaltsstatus für alle von HIV/AIDS betroffenen AsylwerberInnen aus Drittstaaten in Österreich.

Die Fallgeschichte
Ein von AIDS Betroffener Nigerianer stellte Anfang 2003 einen Antrag auf Asyl in Österreich. Nach Ablehnung in erster Instanz durch das Bundesasylamt wurde der Fall in zweiter Instanz, allerdings erst 5 Jahre später, neuerlich verhandelt. Auch hier erhielt der Asylwerber weder Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) noch subsidiären Schutz aufgrund seiner Erkrankung. Die Diagnose AIDS sowie eine schwere Tuberkulose wurden bei dem Nigerianer bereits 2003 gestellt, seither befindet er sich in Therapie, die er trotz Nebenwirkungen recht gut verträgt. „Nach fast acht Jahren Therapie soll er nun in sein Heimatland zurückgeschickt werden. Das können wir so nicht akzeptieren“, erklärt Maritta Teufl-Bruckbauer, Leiterin der Aidshilfe Salzburg.
2009 prüfte die Polizeidirektion Salzburg, ob die Ausweisung möglich sei und kam zu dem Ergebnis, dass dies grundsätzlich durchführbar wäre. Nach erneutem Einspruch ging die Zuständigkeit auf die Sicherheitsdirektion Salzburg über, die ebenfalls einen negativen Bescheid erteilte. Ein Einspruch beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) (bei den so genannten Altfällen möglich) rettete den Betroffenen vorübergehend, da dieser die Abschiebung in das Herkunftsland für die Dauer des Verwaltungsverfahrens aussetzte. Der Betroffene hat bis heute keinen sicheren Aufenthalt in Österreich und muss fürchten, jederzeit in ein Land abgeschoben zu werden, in dem die Fortsetzung der Therapie nicht gewährleistet ist. Noch dazu hat er weder finanzielle Möglichkeiten sein Leben dort zu bestreiten noch Angehörige, die sich um ihn kümmern können.

Recht und Unrecht in Österreich
Die kontinuierliche Verschärfung der Fremden- und Asylgesetze in den vergangenen Jahren hat mittlerweile auch Einklang in die Rechtsprechung aller Instanzen inklusive des Verwaltungsgerichtshofes gefunden. „So manches im Vollzug unseres Fremdenrechts mag verfassungs- und menschenrechtlich gerade noch zulässig sein. Die Frage bleibt, ob es auch wirklich nötig ist“, meint Mag. Georg Bürstmayr.

Bei laufenden Asylverfahren werden zur Beurteilung eines Falles die vorliegenden Staatendokumentationen herangezogen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen früherer und heutiger Rechtssprechung ist folgender: Früher unterzog der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) jeden Einzelfall einer genauen Prüfung. Hier wurde in Betracht gezogen, ob der Einzelne im Herkunftsland tatsächlich eine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen kann, wie seine soziale Lage im Herkunftsland ist und ob er finanzielle Ressourcen hat. Erst nach Prüfung all dieser Aspekte hat der VwGH ein Urteil gefällt. Heute wird so verfahren, dass es völlig ausreichend ist, wenn im Herkunftsland grundsätzlich die Möglichkeit einer Therapie zur Verfügung steht. „Zynisch ausgedrückt könnte man sagen, wenn auch nur eine Tablette im Herkunftsland vorhanden ist, gilt die Therapie als gewährleistet“, betont Teufl-Bruckbauer. Ist es realistisch, dass der Einzelne auch wirklich Zugang zur lebenserhaltenden HIV-Therapie erhält? Ist die Therapie für den Einzelnen auch erschwinglich? Gibt es Angehörige im Herkunftsland, die den Betroffenen aufnehmen können? Fragen wie diese werden nach der heute gängigen Rechtssprechung nicht mehr als Grundlage für die Urteilsentscheidung, bei der es immerhin um ein Menschenleben geht, herangezogen.
Für die Beurteilung der medizinischen Versorgung in den jeweiligen Herkunftsländern werden von den österreichischen Behörden und Gerichten Staatendokumentationen herangezogen. Diese werden vorwiegend von den Auswärtigen Ämtern und Botschaften erarbeitet und zeichnen meist ein sehr positives Bild von der medizinischen Versorgungssituation in den betroffenen Ländern. Stellungnahmen von NGO`s und anderen unabhängigen Organisationen vor Ort, die die Situation meist viel differenzierter beschreiben, haben bisher keinen Einfluss auf die Rechtsprechung.
Da der Staat Österreich für diese Menschen bereits eine Verpflichtung und Verantwortung übernommen hat, fordern wir eine schnelle und humane Lösung. „Die lebenswichtige Therapie nach so vielen Jahren abrupt abzubrechen ist gelinde ausgedrückt unmenschlich“, so Maritta Teufl-Bruckbauer.

Gesundheitssystem Nigeria im Überblick
Der Asylgerichtshof geht davon aus, dass Rückkehrer in den nigerianischen Großstädten eine ausreichende medizinische Versorgung vorfinden, da es sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser gibt, in denen die meisten physischen und psychischen Krankheiten behandelt werden können. Der Haken an der Sache ist, dass die Patienten auch in staatlichen Krankenhäusern ihre Behandlung selber zahlen müssen. Für die Aufnahme in einem Krankenhaus muss vor der Behandlung generell eine Vorauszahlung geleistet werden. Zudem gibt es keine Hilfsorganisationen, die für Not leidende Patientinnen oder Patienten die Kosten für die Behandlung übernehmen. „Aufwändigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV/AIDS, sind zwar möglich, können vom Großteil der Bevölkerung aber nicht finanziert werden“, heißt es in einem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria.
Das IOM, International Organisation for Migration, hielt in ihrem Länderinformationsblatt über Nigeria fest, dass dort, wo die zu hinterlegenden Gebühren als moderat bezeichnet werden können, die Ausrüstung fehle, oftmals mit Verzögerungen zu rechnen sei und eine Vielzahl der Behandlungen aufgrund der großen Anzahl der Patienten nicht sofort durchgeführt werden können. „Zugang, Qualität, Quantität, Stabilität und Kosten der medizinischen Versorgung variieren in Nigeria innerhalb von Städten, zwischen Stadt und Land sowie zwischen privatem und öffentlichem Sektor“, so Alexandra Geiser von der Schweizer Flüchtlingshilfe (SFH). Es ist auch kein Geheimnis, dass sich die afrikanische Elite bei vorhandenen Ressourcen im Ausland behandeln lassen, die Mittelschicht private Kliniken nutzt und die einkommensschwächeren Schichten und Armen auf das öffentliche Gesundheitswesen angewiesen sind.
Der Bericht des U.K. Home Office bringt die Situation auf den Punkt: „Das Gesundheitssystem in Nigeria ist unzureichend finanziert, hat zu wenig Personal, leidet an Materialknappheit und unangemessener Infrastruktur. Der Zugang zu qualitativer Gesundheitsversorgung ist daher beschränkt.“

AIDS in Nigeria
Laut UNAIDS leben in Nigeria circa 3,1 Prozent aller Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren mit HIV und AIDS. Obwohl das im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern wie zum Beispiel Südafrika ein relativ geringer Anteil ist, sind in Nigeria dennoch 2,6 Mio. Menschen mit dem Virus infiziert. Für 750.000 Betroffene ist derzeit keine Therapie in Aussicht. Alleine im Jahr 2007 sind rund 170.000 Menschen in Nigeria allein an AIDS verstorben. Noch deutlicher wird das Ausmaß der Epidemie anhand der stetig sinkenden Lebenserwartung. Im Jahr 1991 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in Nigeria 53,8 und von Männern 52,6 Jahre. Im Jahr 2007 fielen diese Werte auf 46 für Frauen und 47 für Männer. Obwohl mittlerweile fast überall HIV-Therapieprogramme betrieben werden, besteht in den meisten Entwicklungsländern eine schwere Unterversorgung mit antiretroviralen Medikamenten, d.h. nur eine Bruchteil der Betroffenen hat tatsächlich Zugang zu einer lebenserhaltenden HIV-Therapie. In Nigeria beispielsweise, ein Land aus dem viele AsylwerberInnen kommen, erhält nur ein knappes Drittel der Therapiebedürftigen eine entsprechende Therapie.

Unsere Forderungen
Um ein faires und gerechtes Verfahren gewährleisten zu können, müssen differenzierte Kriterien bei der Abwicklung der Asylverfahren Anwendung finden, die den Fokus auf die tatsächlichen Problematiken richten, die im Zusammenhang mit HIV/AIDS und einer Abschiebung durch das bisherige Vorgehen entstehen.

– Eine HIV-Infektion verläuft ohne Behandlung immer tödlich, unabhängig davon, in welchem klinischen Stadium sich der Betroffene befindet.
– Grundsätzlich gibt es in den meisten Drittstaaten keinen zuverlässigen, über langfristige Zeiträume anhaltenden Zugang zu antiretroviralen Medikamenten. Vielmehr bestehen immer wieder Engpässe in der Versorgung. Die meisten Länder sind bisher nicht über das Projektstadium hinausgekommen und es bestehen weiterhin gravierende regionale Unterschiede. So lange die durchschnittliche Versorgung unter 80 % liegt (derzeit beträgt der prozentuelle Versorgungsanteil circa 30 %), kann man nicht davon ausgehen, dass ein allgemeiner Zugang zu HIV-Therapien gewährleistet ist.
– Jeder Einzelfall muss für das jeweilige Herkunftsland anhand der Empfehlungen der WHO überprüft werden, ob ausnahmslos der Zugang zur Therapie und zu den spezifischen notwendigen Kontrolluntersuchungen gewährleistet ist. Unbedingt beachtet werden muss dabei auch, dass Betroffene, die bereits in den so genannten industrialisierten Ländern in medizinischer Behandlung sind, meist schon mehrere Medikamentengenerationen hinter sich haben und sie keinesfalls auf eine frühere Therapie zurückgehen können.
– Um zuverlässige Angaben zur Entscheidungsfindung zu erhalten, müssen vorrangig Gutachten und Berichte von kompetenten Organisationen und ÄrztInnen eingeholt werden. Die Auskünfte von Botschaften sind nicht ausreichend, um die Versorgungslage im jeweiligen Herkunftsland zu beurteilen.
– Der Zugang zu einer HIV-Therapie im Herkunftsland muss für die Einzelperson finanziell und sozial möglich sein. Wenn keine finanziellen Ressourcen vorhanden sind und keine Aussicht auf eine eigene Verdienstmöglichkeit besteht und daher die finanzielle Abhängigkeit von der Familie und des sozialen Umfelds droht, können Menschen nicht für ihre Gesundheitsversorgung aufkommen.
– Für bereits negativ ausjudizierte Personen, die vor der Abschiebung stehen, muss eine Möglichkeit geschaffen werden, die einen humanitären Aufenthalt bzw. ein Bleiberecht in Österreich garantiert.

 

 

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