Die vorbeugende Pille

Kurz vor Weihnachten wurde die Präexpositions-Prophylaxe, kurz PrEP, als wissenschaftlicher Durchbruch des Jahres gefeiert. Ginge es nach dem Willen mancher HIV-ForscherInnen und MedizinerInnen, sollten prophylaktisch eingenommene HIV-Medikamente zum Standard bei der Infektionsverhütung für Menschen mit hohem Ansteckungsrisiko gehören. Weltweit laufen mehrere Studien, um dieses Konzept zu erhärten. Erste Studien haben bereits nachgewiesen, dass HIV-Medikamente für nicht infizierte Menschen einen robusten Schutz vor dem HI-Virus bieten. Wie groß die Hoffnung der Fachleute ist, die weltweite Seuche nun vielleicht bzw. endlich in den Griff zu bekommen, zeigte sich bei einer internationalen Aids-Konferenz im Juli 2011 in Rom (vgl. PlusMinus 3/2011).
Die vorliegenden Ergebnisse der so genannten iPrex-Studie legen nahe, dass HIV/AIDS mit einer flächendeckenden pharmakologischen Vorbeugung theoretisch in Schach gehalten werden könnte. Praktisch sieht das ganze naturgemäß anders aus, weil erhebliche logistische, finanzielle und vor allem ethische Probleme die Folge wären. Gut vor einem Jahr wurden die Auswertungen veröffentlicht, wonach eine regelmäßige Einnahme von Truvada das Infektionsrisiko um circa 70 % senken würde, während sich die Nebenwirkungen als gering erwiesen.

Jedoch sind all diese Studien kritisch zu hinterfragen, wenn nicht sogar bedenklich. Viele Experten warnen vor der Gefahr der Resistenzbildung. Wie eine breite Umsetzung des PrEP-Konzepts die Bildung resistenter HIV-Stämme beeinflusst, kann aufgrund der vorliegenden Daten klarerweise nicht beantwortet werden. Auch der finanzielle Aspekt darf nicht außer Acht gelassen werden. Hierzulande müssten für eine dauerhafte Einnahme von HIV-Medikamenten rund 10.000 Euro/PatientIn aufgebracht werden und zwar ohne die regelmäßige Testung, Beratung und Behandlung von möglichen Nebenwirkungen. Das schwerwiegendste Argument gegen die PrEP ist aber sicher, dass in den so genannten Hochprävalenzländern, also Länder, in denen HIV gehäuft auftritt (wie z.B. Botswana, Lesotho oder Swaziland), die Medikamente nicht einmal für die von HIV-Betroffenen reichen – nicht einmal annähernd. Weltweit haben neun Millionen Betroffene keinen Zugang zu den lebensnotwendigen Medikamenten. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: Ist es ethisch vertretbar, gesunden Menschen HIV-Medikamente zu verschreiben?
 

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