Über infektiöse Drogenspritzen in U-Bahnsitzen und andere Legenden

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Immer wieder stellen uns in der Beratung verunsicherte User die Frage, ob es möglich sei, dass man unbemerkt in einer Disko mit einer Spritze gestochen wird. Dabei ist die Geschichte der Person, die mit einer Spritze umherwandert und anderen Diskobesuchern HIV-positives-Blut einimpft, sodass sich diese mit HIV oder anderen durch Blut übertragbaren Viruserkrankungen anstecken, schon uralt. Ebenso verhält es sich mit dem Fremden, der von Haustür zu Haustür zieht, um seinen ahnungslosen Opfern beim Öffnen der Tür infektiöses Blut zu injizieren sowie mit den angeblichen Spritzen, die in U-Bahnsitze gesteckt werden. Angeblich soll es auch in jeder Stadt mindestens einen Kebabstand oder eine Pizzeria geben, in welcher das Küchenpersonal ins Essen ejakuliert. Bei diesen Erzählungen, die per Stille Post weitergegeben werden und meist nur mündlich tradiert sind, handelt es sich um nichts anderes als um sogenannte „Urbane Legenden“, das sind moderne Schauergeschichten, welche Moralvorstellungen, Ängste  und Tabubrüche widerspiegeln und meist mit einer hohen Prise Ekelfaktor gewürzt sind.

Tiefenpsychologisch betrachtet sind diese Stories sehr aufschlussreich: So geht es bei der oben erwähnten Geschichte um verdrängte sexuelle Triebängste und Schuldkomplexe. Die Schauermär erhebt den moralischen Zeigefinger, indem sie die Disko als einen verwerflichen Ort verpönt, an dem junge Menschen ihre Unschuld verlieren und sich dabei beim ungeschützten Sex mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten infizieren können.

Gerade Menschen, die Angstpatienten sind oder an HIV-Phobie bzw. an Hypochondrie leiden, machen diese Märchen unserer Zivilisationsgesellschaft sehr zu schaffen, streuen sie doch Salz in offene Wunden. Als Berater können wir versichern, dass diese Geschichten gar nicht wahr sein können, da Ansteckungen über Drogenspritzen praktisch nur dann möglich sind, wenn die Injektion intravenös, d.h. direkt in eine Vene erfolgt (das ist z.B. bei Junkies der Fall, die sich beim gemeinsamen Benützen von Drogenspritzen mit HIV oder noch öfters mit Hepatitis C infizieren; hier gelangen Blutreste vom Vorgänger, die sich in der Kanüle sammeln, direkt in die Vene). Subkutan (d.h. wenn ein Nadelstich unter die Haut, nicht aber in eine Vene verabreicht wird)  ist eine Infektion mit HIV nur sehr schwer möglich, da die Verletzung zu klein ist, nicht tief genug geht und somit nicht hinreichend infektiöses Blut in die Blutbahn geraten kann. Auch ist eine Nadelstichverletzung ziemlich schmerzhaft und kann deshalb im Alltag nicht unbemerkt bleiben. Des Weiteren ist kein einziger Fall dokumentiert, bei welchem eine Übertragung von HIV auf diese Weise stattgefunden hat, und solche Vorfälle wären nun doch ein wahrliches Fressen für unsere sensationsgierige Mediengesellschaft und könnten nicht vertuscht werden, sondern würden ganz im Gegenteil wochenlang für Furore sorgen. Auch eine Ansteckung mit HIV über infektiöse Körperflüssigkeiten, die in Speisen oder Getränke gemischt werden, ist nicht möglich, da die Körperflüssigkeiten mit Getränken bzw. Nahrung und Speichel viel zu sehr verdünnt würden. In diesem Gemisch aus Nahrungsbrei, Speichel und Körperflüssigkeiten würde die Viruskonzentration von HIV viel zu dünn, weshalb eine Ansteckung unmöglich wäre.
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